Montag, 24. November 2014

WILDERMUTHS ELBIN

WILDERMUTHS ELBIN


Eine grausame Liebesgeschichte
von Melusine Barby aka Jutta Pivecka
WUNDBRAND
Die gherne woude doghen tsuete ellende,
Die weghe ter hogher minnen lant,
Hi vonde sijn lief, sijn rike, ten ende;
Dies gheeft die trouwe zeghel ende pant.*
Hadewych
Wie die herkam aus dem klösterlich verstummten Hügelland: Minniglich hausten sie hier hundert Jahr und mehr. Nisteten sich rein. Battisttücher steifweiß glänzend unter der Monstranz ausgebreitet, dass das Blut leuchtete barmherziger. Deren Kopf aber zog zu den Säulen, wo die Füße nicht stehen. Es fiel das Querhaus und sie mit hinab. Wie Brand aus den Fenstern züngelte  sich die Dachreiterin dann rot ins Gewölbejoch. Danach blieb die nicht am kühlenden Brunnen stehen; wankend hinaus ins Freie musste sie sich zivilisieren. Städten blieb sie nicht treu, aber dem Licht. Du findest sie nicht mehr unter dem Kaffgesims. Das Mutterhaus steht leer.
WILDERMUTH
Wildermuth, wie sie dich nannte , Mann, von der Höhe herab dein Blick über die Felder, wilderst du im fremden Gebüsch, schlägst dich durch die Aue ihr zu, gegen die Windrichtung federt der Schritt, im Lichte der Waffe ist sie dein Wild, keuchend zwischen dem Lauch windet sie sich unter deinem Griff, hältst du das Getier fest zwischen Läufen, streckt es die Glieder, beugt es den Hals, wetzt du die Messer, lässt sich die  ein Fell über die Ohren ziehen. Wilder Mut treibt zur Jagd.
WIRTSHAUS
Als Wildermuth den Gastraum betrat, hatte der Rothe Löwe seine Pranke schon tief in den Schenkel des Wildes gegraben.  Das  war erstarrt. Wildermuth, der ein Pils orderte, schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. Der Löwe fühlte das Blut durch die Venen seiner Beute pulsen. Die Gazellenaugen fanden verstört längst keinen Halt mehr. Warum fliehe ich nicht? Um sie flackerte das Gelächter. Sie schloss die Lider. Er ist ein Fleischfresser und wird es ewig bleiben, dachte sie. Sie streckte ihren Hals vor seine Kiefer. Beiß zu. Wildermuth setzte das Glas an die Lippen. Die Trägheit des Raubtiers ekelte ihn. Der zieht das Wild an, das sich selbst erlegt. Die Fangzähne gruben sich ein. Im Gejohle des Stammtischs nebenan ging ihr Stöhnen unter.
WAIDWUND
dines seren herzen sufzen unde biben
hat min gerethekeit von dir vertriben
Mechthild von Magdeburg
Es schauderte selbst den Mutigen vor dem Elbengeschlecht. Drum mied er die Lichtung und mähte eine Schneise ins Dickicht. Als ahnte er, was ihm blühte in den Hainen. Doch brauchte er die blasshäutige Gebieterin der nächtlichen Tänzer im Mondenlicht nur hinzuwerfen, dacht´ er: So war die Wilde ungezähmt ihm zwischen den Wurzeln unterworfen. Den fauligen Geruch aus dem Maul des prolligen Löwen suchte er zu vergessen in dieser Umarmung. Aber da hatte er  schon längst von der Beute des verwegenen Kumpanes getrunken.
Den ganzen Herbst über blieb sie dem Waldesrand fern, wo ihre Herolde den Wildermuth zerrissen hatten. Erst als gnädig der Schnee die blutgetränkte Erde bedeckte, setzte sie ihren Fuß zurück auf den  gefrorenen Boden und benetzte das Grab mit Tränen. Wo die Elbenkönigin weinte, sollen die Früchte und Blumen in den Äckern gedeihen. Mich ekelt vorm Kuss deines toten Mundes, Mann, den ich rief, Wildermuth, doch wie kann ich ohne dich sein?


WILDWECHSEL
schoener jungeling, mich lustet din
Mechthild von Magdeburg
Jahr um Jahr war hingegangen und sie hatte geliebt. Als das Dach einstürzte im Feuer und sie gestählt davon ritt in die Nacht, streiften die Äste der Linde ihre Arme und streichelten die Blätter ihr Haupt. Sie mied die Städte und blieb dunkel im Waldgestöber. Unbereut den einen gefreit und mit jenem sich wilden Muts im Laub gewälzt. Mann, den ich rief, Wildermuth. Liegt erlegt jetzt zu meinen Füßen. Wie kalt und weiß die tödlichen Hände des Jägers auf ebenem Holz. Das Blut so purpurn aus deiner Kehle rann. Was trankst du dem rothen Löwen zu, der seine Zähne in meiner Schwester Kehle grub. Arg sprechen meine Elben von dir. Und doch jammerst du mich, mein Unglücksmann. Noch nach deiner Leiche gelüstet es mich. So sinke ich hin, dein Blut zu trinken feurigen Sinns.

WILDE BRUT
Frowe minne, ir sint en roberinne, dennoch sont ir mir gelten.
Mechthild von Magdeburg
Der Elbin erwuchs aus Wildermuths Liebe ein Sohn. Den hielt sie über des Vaters schaurigem Grab. Sie flohen die Stätten ihres Volkes und tauchten ins Neonlicht. Wo sie sich bückte unter die Leute, doch dem Kinde den Rücken streckte. Wie raubte die Liebe ihr jegliche Kraft. So zog´s sie mit Macht unter die Kuppel des Doms. Elben-Wort lässt Lügen schweben. Auch die Meinen gaben nach, als ich sie verließ, und beugten die Knie vor dem Kreuz. Doch droben ist keiner mehr.  Fort tanzen sie wie je zwischen den Bäumen nun auf dem Asphalt. Gäbe ich dir die Flügel, Knabe des wilden Mannes, flögest du mir davon. Noch müssen wir unter der Löwenbrut hausen, bis deine Wildheit sich vermännlicht hat. Dann gehst du dahin, Wildermuth, und ich dort ins Gebälk unter dem hohen Altar. Wo alles von Neuem beginnt, Sohn der Unmenschlichen, in feurigem Schein. Auch Steine werden schmelzen. Seine Hand in der ihren hasteten sie durch die menschliche Flut.


WETTERWENDISCH
weil du denn nu verhärtet bist, 
und dir gefällt die leichte list, 

so lasz ich dir den wetterwillen 
und will mich gerne gerne stillen

Kaspar Stieler: Geharnschte Venus  
Die Luft war nebulos. Es fröstelte die Elbin im Morgengrauen. Ein Wetter zog auf, ahnte sie. Draußen vor den Toren, wo des Wildermuths Blut den Boden tränkte, wollte sie den Boten ihres Volkes treffen. Sie blähte die Nüstern und roch den Wald. Sehnsüchtig rieb sie ihre Wange an der Rinde der alten Eiche. Hinterlistig griff da eine Hand in ihren Schenkel. „Das Kreuz“, flüsterte es an ihrem Ohr und sie erkannte die Stimme des Königs. „Du selbst....“ Mit seinen Zähnen durchbiss er die Kette an ihrem Hals.  Das Zeichen glitt zwischen ihren Brüsten hinab. „Dreimal krähte auf dem Dach schon der blecherne Hahn. Rück das Wechselbalg heraus.“ Er bohrte sich tiefer in ihr Fleisch. „Waide mich...“ Sie roch das modrige Baummoos und ersehnte den Fall. „Mein Sohn.“ „Du kennst das Wort.“  Entblößt, wusste sie, lagen ihre Lebensnerven vor ihm.  „Daher kommts....“ Ein Gewitterwind riss sie endlich ins sprossende Gras hernieder.


WUNDSTARRE
was fühlt disz hertze nicht vor allzeit frische wunden
Andreas Gryphius
Als der Schatten einer Wolke über das Gesicht der Elbin zog, schlug sie die Augen auf. Würzig duftete das Gras, in dem sie sich ausstreckte. Wohlig wollte der Leib sich auf dem feuchten Boden wenden. Wie ein Blitz aber fuhr das Erkennen in ihre Glieder. Während ich mich dem Sturm hingab, verriet ich den Sohn des Jägers. Auf dem Alten Berg ließ ich wiederum geschehen, wovor ich zu fliehen nur vorgab. Schon klatschten ihre nackten Füße auf den Beton. Keuchend erreichte sie die menschliche Bleibe. Vergebens war ihre Eile. Das Kind des Wildermuth, das sie zurück gelassen, war nicht mehr daheim. Nur durch meine Schuld gewinnt der Leidensmann, der alles vergibt, seine Macht über das alte Volk. Weil ich nicht treu bleiben kann, führte mich schon die Mutter fort. Weiß verbindet sie meine blutigen Wunden; erstarrt ruhe ich im steinernen Schiff aus wie eine Tote.
*He would gladly suffer sweet exile
The roads to the land of high love
Would find his beloved  and his country at the end;
Of this, fidelity gives seal and pledge.